Das unfertige Ganze
In: Die Architekt 4/24. Utopie und Apokalypse. Zur Ästhetik der Nachhaltigkeit
Christoph Grafe, Holger Hoffmann
Der Diskurs über Nachhaltigkeit in der Architektur wird oft von technologischen Fragen dominiert, während kulturelle und ästhetische Aspekte in den Hintergrund treten. Dieser Text analysiert die potenziellen Synergien zwischen technischen Ansätzen und ästhetischen Fragestellungen im Kontext des Um- und Weiterbauens. Dabei wird argumentiert, dass der Prozess des Weiterbauens eine dynamische Praxis ist, die sich vom statischen Denkmalpflege-Diskurs abgrenzt und stattdessen Transformation und Vielschichtigkeit betont.
Anhand des Upper Lawn Pavilion von Alison und Peter Smithson wird exemplarisch gezeigt, wie moderne und traditionelle Bauelemente kombiniert werden können, um hybride Architekturen zu schaffen, die kontextsensitiv und zukunftsfähig sind. Gleichzeitig wird untersucht, inwieweit historische Konzepte wie Camillo Boitos „Amnestie der Überformung“ oder Charles Jencks' „Adhocismus“ neue Perspektiven für die Umdeutung von Nachkriegsbauten eröffnen können.
Die Verbindung von pragmatischen Bauprinzipien mit einer offenen, flexiblen Ästhetik stellt eine Herausforderung an bestehende Paradigmen dar und bietet eine mögliche Antwort auf die Klimakrise. Durch die Integration multipler Konstruktionssysteme und die Akzeptanz von Unfertigkeit und Hybridität entsteht eine Architektur, die auf Wandel und Ressourcenschonung reagiert, ohne dabei die kulturelle Bedeutung und ästhetische Qualität zu vernachlässigen.
We never see anything clearly. On the aesthetic qualities of an unfinished whole.
EAAE Annual Conference, Münster, 2024
Heiner Verhaeg, Holger Hoffmann
Keywords: Kontinuität, Kontext, Unfertigkeit, Ganzheit, Algorithmische Optimierung
Dieses paper versucht eine Antwort auf das Panel der Konferenz „02. Design LESS“ zu formulieren. Im Zentrum unserer Argumentation steht das Konzept des ‚non-finito‘ und die Auswirkungen von Unfertigkeit als wichtige ästhetische Bedingung für zeitgenössische Architekturprojekte. Das Paper formuliert kurz einen theoretischen Hintergrund für eine konzeptionelle Beziehung von Unfertigkeit, Verfeinerung und Ganzheit, um dann eine architektonische Strategie zu skizzieren, die wiederum auf der Kombination von disziplinärem Wissen und Computermethoden basiert.
The 10th International Conference on Architecture and Built Environment with Architecture AWARDs
Veranstaltungsort: S.ARCH, 2023.
Titel: The Topological Grammar of Forms
Autor: Wonseok Chae
Ziel der Arbeit ist es, formale Grammatiken in der architektonischen Gestaltung zu untersuchen. Die Forschung untersucht den Wandel der Grammatik von der reinen Geometrie zur komplexen Topologie. Einige Architekturen aus Berlin werden auf der Grundlage geometrischer und topologischer Prinzipien sowie weiterer Entwurfsentwicklungen in komplexen Situationen analysiert.
Einerseits ist die Geometrie ein dominierendes Prinzip im architektonischen Entwurf. Vor allem im 20. Jahrhundert wurde der Begriff der Geometrie als eine generische Form der Sprache betrachtet. Auf der anderen Seite wurde die Topologie zu einem alternativen Prinzip neben der Geometrie. Seit dem späten 20. Jahrhundert wird das Konzept der Topologie als eine spezifische Form der Sprache vorgeschlagen, um die geometrischen Grenzen bei der Erklärung komplexer Formen zu überwinden.
Heute scheinen sich die formalen Grammatiken zu verlagern, um mehr Komplexität als einfache Formen zu behandeln. So wird die virtuelle Realität durch Unterkategorien wie gemischte Realität, erweiterte Realität oder Augmented Reality zusätzlich zur externen Realität erweitert. KI-gesteuerte Entwurfswerkzeuge erzeugen eine große Vielfalt an aggregierten Formen. Zeitgenössische architektonische Medien scheinen zu erfordern, dass man Komplexitäten lesen kann, in denen sich die meisten Formen auf weniger geometrische Weise überschneiden und nebeneinander stehen.
Schlüsselwörter: Geometrie, Topologie, Realität, Modellierungsgrammatik, Fragment
(Übersetzt von M. Kau)
The Realities of Fragments
Veranstaltungsort: AMPS (Queen's University Belfast, Cape Peninsula University of Technology, National University of Singapore)
Titel: The Realities of Fragments
Autor: Wonseok Chae
Im architektonischen Diskurs hat das Konzept der Fragmente oft das Konzept der Realität in einem historischen Sinne repräsentiert. In diesem Fall gehörte die Form der Fragmente oder der Prozess der Fragmentierung zu den archäologischen Studien wie Forma Urbis. Die Marmorfragmente aus dem alten Rom wurden mit ihren zerbrochenen, unvollkommenen, verwitterten oder deformierten Formen, die teilweise an historischen Stätten entdeckt wurden, als "Fragmente " betrachtet. Wenn man die Bedeutung erweitert, werden auch die traditionellen Formen als Fragmente betrachtet, da sie als archäologische Mode entdeckt werden. Sie werden ebenfalls zerbrochen, zersplittert oder von der Geschichte beschädigt aufgefunden, aber von den Historikern unter demselben Gesichtspunkt mit den ursprünglichen Bedeutungen wiederbelebt.
Im 21. Jahrhundert scheint das Konzept der Fragmente einerseits für die Darstellung virtueller Realitäten und andererseits für die Darstellung faktischer Realitäten verwendet zu werden. Im Falle von KI-gesteuerten Anwendungen ist es schwierig, ein Bild zu finden, das nicht aus mehreren Fragmenten besteht, die nahtlos auf mögliche oder virtuelle Weise zusammengesetzt sind. Bei der 3D-Scantechnologie wird eine einzelne Architektur oder eine ganze Stadt in 3D-Modellen aus den zahlreichen Fragmenten von Luft- und Straßenaufnahmen konstruiert. Diese Modelle können nicht aus konventionellen Kompositionen oder Prinzipien entstehen, sondern aus einer Vielzahl inkongruenter Fragmente, die der Realität oder dem uns bekannten Außenraum widersprechen könnten.
Andererseits werden diese virtuellen Realitäten eher durch digitale Werkzeuge erkannt und anerkannt, nicht aber durch Inhalte. Sie werden zu hohlen Softwaregefäßen, die lediglich neue digitale Technologien repräsentieren. In vielen Fällen wird der Begriff der Realität verwendet, ohne dass vernünftige Erzählungen und Inhalte darüber vorliegen, was überhaupt real oder Wirklichkeit ist. Es ist nicht schwer, dieses Problem der Realität in Form von virtueller Realität, erweiterter Realität, erweiterter Realität oder gemischter Realität zu erfahren. Es gibt viele verschiedene Realitäten, doch die meisten von ihnen scheinen es entweder zu vermeiden, zu spezifizieren, was die Qualität der Realität ist, oder die Realität als einen ganzen äußeren Raum im Sinne der Lacan'schen Definition vorherzubestimmen:
Die Realität ist die äußere Wirklichkeit, unser sozialer und materieller Raum, an den wir gewöhnt sind und in dem wir uns orientieren und mit anderen interagieren können, während das Reale eine spektrale Entität ist, unsichtbar und gerade deshalb als allmächtig erscheint.
(Übersetzt von M. Kau)
The modeling grammar of the real
Are you a Model?, Technical University of Darmstadt, Deutschland, 2022.
Wonseok Chae
Keywords: Modell, real, Realität, Modellierungsgrammatik, Fragment
In diesem Artikel wird das unvereinbare Konzept des Realen zwischen der buchstäblichen und der virtuellen Realität anhand einer seltsamen Beziehung zwischen dem Rathaus und seinem Modell in Marl, Deutschland, untersucht. Nachdem es seine reale Qualität als vorbereitendes physisches Modell getestet hat, setzt das Modell seinen realen Wert durch den Umbau in eine Kinderbibliothek noch stärker als zuvor durch. In diesen Tagen wird auch das Rathaus umgebaut, so als ob es mit dem Umbau des Modells nach etwa 40 Jahren der Stille übereinstimmt. Schließlich sind sowohl das Rathaus als auch das Modellgebäude weniger abhängig von ihrem ursprünglichen Modell, das von den Architekten Van den Broek en Bakema in den 1960er Jahren entworfen wurde. Alle drei Modelle scheinen ihre exklusive Qualität des Realen in sich gegenseitig ausschließenden Realitäten auszudrücken, die jedoch durch dieselbe Modellierungsgrammatik miteinander verbunden sind. Die Spekulation auf das Reale scheint unvermeidlich zu sein, wenn die Idee des Realen fragwürdig wird. Wenig Aufmerksamkeit wurde bisher der Frage gewidmet, warum das Konzept des Realen nur innerhalb exklusiver Realitäten, die auf dem architektonischen Diskurs der Nachkriegszeit beruhen, allmächtig ist. Durch die kritische Betrachtung des Modells und des Rathausgebäudes versucht dieser Artikel, den Begriff des Realen, dessen Darstellungskonzept sich im Laufe der Zeit verändert, zu beleuchten. Die Untersuchung stützt sich auf eine Reihe grundlegender Kritiken am Realen und an der Realität durch postmoderne Architekten wie Alan Colquhoun und Peter Eisenman im Vergleich zu den aktuellen Verwendungen mit weniger Diskretion.
Grounding Associative Geometry: From Universal Style Towards Specific Form
rca. research culture in architecture - international conference on cross-disciplinary collaboration
TU Kaiserslautern, 2018
Corneel Cannaerts, Holger Hoffmann
Das Paper untersucht die Anwendung von assoziativer Geometrie in der Architekturpraxis und lokalen Baukultur. Im Gegensatz zu einer rein technologischen Faszination für computergestützte Formfindung wird der Fokus auf die Entwicklung ortsspezifischer Architekturen durch parametrisches Design gelegt. Anhand zweier Gebäudeprojekte – Haus H in Deutschland und House EC in Flandern – werden die Potenziale und Grenzen dieser Methode illustriert. Beide Projekte zeigen, wie digitale Werkzeuge mit lokalen Kontexten, typologischen und tektonischen Themen sowie handwerklichen Traditionen verknüpft werden können.
Haus H transformiert die traditionelle Vierständerhaustypologie durch digitale Hybridisierung und kontextuelle Adaption, während House EC eine innovative Dachstruktur integriert, die sowohl bestehende als auch neue Elemente verbindet. Beide Ansätze nutzen assoziative Geometrie, um Entwurfsvariationen zu explorieren und ortspezifische Anpassungen vorzunehmen. Die Ergebnisse demonstrieren, wie computergestützte Methoden formale Flexibilität und kontextbezogene Architekturlösungen ermöglichen, ohne die lokalen Bautraditionen oder die handwerkliche Praxis zu entfremden.
Das Paper schlägt eine Synthese vor, die digitale Technologien nicht isoliert betrachtet, sondern sie mit den Anforderungen von Typologie, Materialität und Ortsbezug verbindet, um zeitgenössische Architektur zu bereichern.
Elastischer Standard
Edition Detail. Atlas Recycling. Gebäude als Materialressource, 2021
Annette Hillebrandt, Petra Riegler-Floors, Anja Rosen, Johanna-Katharina Seggewies
Holger Hoffmann
Ausgehend von Alvar Aaltos Kritik an der standardisierten Rationalisierung der Moderne untersucht das Kapitel das Konzept des "Elastischen Standards" im Kontext kreislauffähigen Bauens. Durch "computational design"-Techniken und digitale Werkzeuge wie BIM wird die starre Wiederholung identischer Bauteile zugunsten einer flexiblen Parametrisierung abgelöst.
Diese Ansätze erlauben eine geometrische Anpassung von Bestandselementen, um statische Effizienz, Materialperformance und gestalterische Vielfalt zu steigern. Iterative Soll-Ist-Abgleiche integrieren die Variabilität wiederverwendeter Bauteile in neue Bauprojekte.
Das informierte digitale Gebäudemodell dient dabei als Grundlage für die kreative Nutzung begrenzter Ressourcen und eröffnet Perspektiven für nachhaltiges, differenziertes und urban mining-orientiertes Bauen.
Alvar Aalto's Associative Geometries
Why Aalto?, 3rd Alvar Aalto Researchers Network Seminar, Jyväskylä 2017
Holger Hoffmann
Keywords: Alvar Aalto, Standardisierung, Assoziative Geometrien, Parametrischer Regionalismus
In diesem Beitrag, geschrieben aus der Sicht eines Praktikers, soll Alvar Aaltos Verwendung assoziativer Geometrien als Inspiration für zeitgenössische computergestützte Designtechniken und sein möglicher Einfluss auf eine ortsspezifische Version der heutigen digitalen Moderne beschrieben werden.
In der Architektur hat die Einführung digitaler Design- und Kommunikationstechniken in den 1990er Jahren einen globalen Diskurs über Komplexität und die Beziehung zwischen dem Universellen und dem Spezifischen begründet. Und obwohl das große Potenzial der Computertechnologie in der Differenzierung und Spezifizierung architektonischer Lösungen liegt, erscheint der „Ort“ und insbesondere die „Ortsform“ seitdem nicht mehr von größtem Interesse.
Es wird versucht eine Erzählung aufzubauen, die die Möglichkeiten von Aaltos „elastischer Standardisierung“ als Methode der wohlstrukturierten Differenzierung in Bezug auf historische und zeitgenössische Methoden der Konstruktion von Komplexität beschreibt. Danach schließt eine kurze geometrische Analyse von Aaltos „Neue Vahr“-Gebäude an, um Aaltos Arbeit vor dem Konzept von „Differenz und Wiederholung“ zu erklären. Letzteres ist einer der Eckpfeiler zeitgenössischer parametrischer Verfahren.
Anhand zweier Projekte (eines akademisch, eines professionell) werden die Möglichkeiten eines Entwurfsansatzes aufgezeigt, der das formale Vokabular digitaler Entwurfswerkzeuge mit kontextuellen oder regionalen Einflüssen mischt.
zuletzt bearbeitet am: 09.01.2025